Warum Wim Wenders auf 3D-Filme setzt (2024)

Starregisseur Wim Wenders hat zwei neue Kinofilme am Start: Ein Biopic über den bildenden Künstler Anselm Kiefer und den Streifen „Perfect Days“. Am 4. Januar kommt der Filmemacher ins Multikulturelle Centrum (MKC) nach Templin, um die Filme vorzustellen. MKC-Chefin Kathrin Bohm-Berg sprach im Vorfeld mit dem berühmten Regisseur.

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Herr Wenders, Sie sind im deutschen Kino gerade mit zwei herausragenden Filmen präsent, zum einem mit der Dokumentation „Anselm - Das Rauschen der Zeit“ und zum anderen mit dem Spielfilm „Perfect Days“. Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zur Nominierung Ihres Films „Perfekt Days“ für die Shortlist der Oscars, und zwar als japanischer Beitrag. Hat Sie der Erfolg Ihres Films überrascht?

Nachdem wir mit „Perfect Days“ in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurden und da dann den Preis für Koji Yakusho als besten Darsteller gewonnen haben, war ich auf alles gefasst, nur nicht darauf, ein paar Monate später als japanischer Beitrag mit dem Film ins Oscar-Rennen zu gehen. Aber meinen deutschen Pass darf ich behalten! Eigentlich hätte ich schon auf so was gefasst sein sollen, nachdem wir im September in Leipzig den Preis der Gilde der Deutschen Filmkunsttheater gewonnen haben, aber eben als „Bester ausländischer Film“! Da hätte ich schon stutzig werden können. Der Erfolg des Films jetzt im Kino - sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und Japan, woanders kommt er erst im neuen Jahr heraus - verdankt er sicher der Tatsache, dass da so glückliche Umstände zusammengekommen sind, in dem Zusammenspiel zwischen einem grandiosen Darsteller, meinem Kameramann Franz Lustig, (der auch „Anselm“ gedreht hat) und einem Drehbuch, das mein japanischer Co-Autor Takuma Takasaki und ich hier in der Uckermark in drei sonnigen Sommerwochen geschrieben haben. Danach konnte beim Drehen in Tokio nichts mehr schief gehen, und auch ich hab’s nicht versemmelt, sondern mein Bestes gegeben.

Bei aller Monumentalität: „Anselm“ ist ein sehr persönlicher Film von Ihnen, denn Kiefer ist ihr langjähriger Freund. Was schätzen Sie besonders an Anselm Kiefer, was ist das Besondere an seinem Werk?

Ich kenne viele Maler und liebe die Malerei über alles. Aber ich kenne keinen anderen als Anselm Kiefer, für den das Malen so grenzenlos ist. Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes kein Limit für ihn, nichts, was nicht gemalt werden könnte, ob es nun das Weltall ist oder der Mikrokosmos, die Geschichte der Menschheit, die Geschichte der Mythen, die deutsche Geschichte, die Philosophie, die Poesie oder die Religion. Alles kann für ihn zu Malerei werden oder in weitestem Sinne zu Kunst, zu Landschaft, zu Skulptur. Er hat einfach vor nichts Angst, weder vor dem Kleinsten noch dem Größten. Vor dem schon gar nicht.

Im MKC haben wir in den vergangenen Jahren Ihre Arbeiten „Das Salz der Erde“ über den brasilianischen Fotografen Salgado und natürlich auch „Pina“ zeigen können. Die 3D-Effekte bei Pina waren atemberaubend, das MKC Kino ist ja auch eine Livebühne, und bei der Projektion von Pina hatte ich oft das Gefühl, die Tänzer stehen direkt auf unserer Bühne, die sich hinter der Leinwand befindet. Auch Ihr neuer Film „Anselm“ ist in 3D gedreht, was fasziniert Sie so an der 3D-Darstellung?

Es gibt keine andere Bildsprache, in der die Menschen so sehr „da sein“ können, „dabei“ sein, „drin“ sein. Wie Sie schon sagen: Die Leinwand verschwindet. Man kann in einem 3D-Film so unendlich viel mehr sehen als sonst im Kino. Da ist nicht nur eine flache Leinwand, die Tiefe vorgibt, sondern eine Tiefe bis zum Horizont. Man könnte sagen: In 3D ist das Sehen zum Quadrat erhoben. Deswegen musste ich „Anselm“ in 3D machen: In Anselms Kunst gibt es einfach viel mehr zu sehen als sonst im Kino. Der Zuschauer macht in dem Film wirklich mehr eine Erfahrung, als dass er „nur“ einen Film sieht.

Während Sie an der Künstlerbiografie über Anselm Kiefer mehrere Jahre gearbeitet haben, ist der zweite Film „Perfect Days“, den Sie in diesem Jahr herausbringen, innerhalb kürzester Zeit entstanden. Im Zentrum des Spielfilms steht ein alleinstehender Mann, der in Tokio Design-Toiletten reinigt. Wie kommt man denn überhaupt auf so einen Filmstoff?

Gute Frage. Man kommt nicht drauf. Es kommt zu einem. Eigentlich bin ich voriges Jahr ja für was ganz anderes nach Tokio gefahren: Ich sollte mir ein Architekturprojekt anschauen, für das 15 große Architekten, die sonst Museen, Banken oder Wolkenkratzer bauen, etwas extrem Kleines gebaut haben, eigentlich das Kleinste, das man sich vorstellen kann: eine öffentliche Toilette. Das hat mich interessiert. Ich liebe Tokio, und ich interessiere mich immens für Architektur. Aber statt eine Serie von kurzen Dokumentarfilmen über diese kleinen Tempelpaläste und ihre Architekten habe ich dahinter etwas viel „Größeres“ gespürt, einen Film, der sich viel mehr lohnen würde, der unser aller Lebenssituationen nach der Pandemie mehr entsprechen würde. Ich dachte, ich rede mich um Kopf und Kragen, als ich also die Dokumentarserie abgesagt und stattdessen einen Spielfilm vorgeschlagen habe. Aber dann waren die Leute ganz baff und sagten: „Meinen Sie denn, das geht?“ „Ja,“ sagte ich, „wir brauchen bloß ein Drehbuch und einen guten Schauspieler.“ Daraus ist dann schließlich „Perfect Days“ geworden.

Als Lokalpatriotin muss ich das noch fragen: Sie haben seit einiger Zeit auch ein Refugium in der Uckermark. Wie sind Sie auf die „Toskana des Nordens“ aufmerksam geworden, und wie gefällt es Ihnen hier?

Vor über 20 Jahren haben meine Frau und ich einen alten Freund hier in der Uckermark besucht, den inzwischen leider verstorbenen Rolf Henke. Der hat uns ein bisschen herumgefahren, und dann wussten wir, wo wir irgendwann mal leben wollten. Damals wohnten wir noch mit dem Hauptwohnsitz in Los Angeles. Da haben wir uns dann nach dem Beginn des Irakkrieges verabschiedet und sind zurück nach Berlin gezogen. Jahrelang haben wir die Uckermark an jedem freien Wochenende hin und her durchkreuzt, aber haben nicht den Ort gefunden, wo wir zu Hause sein wollten. Wir waren dann schon bereit aufzugeben, als uns eines Tages eben Rolf Henke wieder anrief und sagte: „Stellt keine Fragen, steigt ins Auto und kommt her! Ich hab‘ euch doch das Gelände gezeigt, wo ich hier die ersten Jahre gewohnt habe. Schöner geht’s nicht! Mein Freund da hat mir gestern in der Kneipe erzählt, dass er überlegt, einen Teil seines Hofes zu verkaufen. Setzt Euch jetzt ins Auto und fahrt hin!!!“ Das haben wir gemacht, uns gut mit seinem Freund, unserem zukünftigen Nachbarn, verstanden und ein paar Monate später tatsächlich die Scheune gekauft. Seit 2020 leben wir hier in der Uckermark mit unserem ersten Wohnsitz. Es fällt immer schwerer, sich für Dreharbeiten zu verabschieden, selbst wenn das in Tokio ist … Kaum sitze ich in einem Flugzeug, will ich schon nur noch zurück nach Hause.

Zwei Filme gleichzeitig im Kino, und dann mit so großem Erfolg, kommen Sie denn da überhaupt dazu, die Ruhe und Beschaulichkeit der Uckermark zu genießen?

Ich beantworte Ihre Fragen hier in der Uckermark, nachdem ich vorher einen langen Spaziergang gemacht habe, und wenn ich vom Computer aufschaue, sehe ich nichts als meine Lieblingslandschaft. Inzwischen regnet es in Strömen. Gott sei Dank, das tut dem Land gut. Und das nächste mal, dass ich mich ins Auto setze, ist am 4. Januar, um zu Ihnen nach Templin zu fahren.

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